BKGE-Lexikon

Heimatstuben

Genese

Begriffsgeschichte

H. sind kleine Sammlungs- und Begegnungsstätten mit regionalgeschichtlichem Bezug. Sie bildeten sich Anfang des 20. Jahrhunderts als eine Form des Heimatmuseums in Dörfern oder kleineren Ortschaften heraus. Die Größe, Bedeutung und Professionalität von Museen erreichen sie nicht, allerdings sind die Grenzen zwischen H. und -museen bis heute fließend. Die Herkunft der Bezeichnung ist nicht eindeutig zu klären. Es ist anzunehmen, dass sich die H. im Zusammenhang mit den inszenierten Stubeneinrichtungen der Museen herausbildeten, die sich um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.) großer Beliebtheit erfreuten, gleichzeitig jedoch das "Sinnbild einer rückwärts gewandten Sicht auf eine geschlossene Welt bäuerlicher und handwerklicher Harmonie" (M. Roth) darstellten. Der Kulturwissenschaftler M. Roth datiert die Einführung des "Stuben-Prinzip[s]" in Deutschland ungefähr auf das Jahr 1890 und sieht dessen Vorgängerformen in den inszenierten "Wohnwelten" der seit 1851 stattfindenden Weltausstellungen, insbesondere in der Präsentation aus dem Jahr 1878 in Paris.  Möglicherweise lassen sich die H. von den mit Erinnerungsstücken ausgeschmückten Wohn-, Gast- oder Dorfstuben ableiten. Als Volkskundler sah A. Perlick den Ursprung der H. in der "privaten Sphäre der Wohnstuben", die sich u. a. durch die Sammlung von Erinnerungsstücken und ihrem Begegnungscharakter zu "natürlichen Nachbarschaftszentren" entwickelt hätten. Beispielhaft führt er die Entwicklung in Böhmen und Mähren sowie in weiteren deutschsprachigen Siedlungen Südosteuropas an, in denen sich aufgrund der "Bedrängnis des Volkstums" diese "Stellen der Traditionspflege und Geborgenheit" (A. Perlick) gebildet und nach dem Ersten Weltkrieg auch in den so genannten Grenzländern verbreitet hätten; so entstanden seit 1924 H. in Oberschlesien.

In den 1930er Jahren erschien der Begriff H. auch auf Verwaltungsebene als Bezeichnung für kleine, semi-museale Einrichtungen mit Ortsbezug. Man sah sich genötigt, die Vielzahl an Neugründungen von heimatlichen Museen zu unterbinden und regte an, die Heimatmuseen auf Kreisebene zu Heimathäusern umzugestalten. H. sollten die "volkserzieherische Arbeit" leisten und sich in der Zeit des Nationalsozialismus zusammen mit Heimathäusern vor allem der völkischen Propaganda und in Gebieten wie beispielsweise Oberschlesien der Grenzlandthematik widmen.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Begriff H. in Baden als "neue Form der Heimatpflege" eingeführt und ebenso in der DDR als Bezeichnung für kleine ortsbezogene heimatkundliche Sammlungen verwendet. In der Bundesrepublik Deutschland entstand zudem eine Sonderform von H., die sich auf Orte und Regionen in den Herkunfts- oder so genannten Heimatgebieten der Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler bezogen bzw. ganz allgemein auf eine territorial konstruierte "ostdeutsche" Herkunft, die jedoch nicht zur unmittelbaren Umgebung der gegründeten Einrichtung gehörte. Mit Bezug auf diese Sammlungs- und Begegnungsstätten für Flüchtlinge, Vertriebene und Aussiedler erschien der Begriff H. 1951 wohl erstmals in den Akten der Fachstelle für ostdeutsches Volkstum im Westfälischen Heimatbund im Zusammenhang mit der Einrichtung und Realisierung von Patenschaften. Bundesweite Verbreitung fand die Bezeichnung in diesem Sinne zwei Jahre später durch die Herausgabe der Patenschaftsrichtlinien des Deutschen Städtetags und der Kommunalen Spitzenverbände im Jahr 1953. Darin wurde als "Einzelmaßnahme" zur Ausgestaltung von Patenschaften die "Schaffung einer 'H.' oder eines 'Hauses' des ostdeutschen Partners" vorgeschlagen. Die Entscheidung für die Bezeichnung H. statt Heimatmuseum mag darauf zurückzuführen sein, dass die Initiatoren aufgrund der Ereignisse während und nach dem 2. Weltkrieg sowie durch die Flucht oder die Vertreibung nur mit einer geringen Anzahl an Sammlungsobjekten rechneten. Die Funktion als Begegnungsstätte schien von größerer Bedeutung und würde durch den Begriff "Stuben" passender beschrieben sein.

Es handelt sich bei dieser Sonderform von H. um sehr diverse semi-museale Institutionen, die nach unterschiedlichen Gesichtspunkten unterteilt werden. Zum einen gliederte H. J. Schuch die Einrichtungen in den 1980er Jahren bezüglich ihrer hauptsächlichen Funktion in Versammlungsraum, Büro, Heimatsammlung und Heimatmuseum, verwies jedoch auch auf entstandene Mischformen (W. Engel, H.-J.Schuch). Zum anderen erfolgt die Einteilung nach dem Provenienzprinzip und spiegelt sich in den Bezeichnungen wie z. B. pommersche, ostpreußische, siebenbürgische oder schlesische H. wider. Innerhalb dieser Gruppen wird wiederum unterteilt nach den entsprechenden Orten, die den Fokus der Heimatsammlung bilden.

Träger, Gebrauch

H. war und ist – über die hier vorgestellte Sonderform hinaus – ein allgemein gebräuchlicher Begriff für kleinere semi-museale Einrichtungen. Als diskussionswürdig gilt die Bezeichnung „Ostdeutsche H.“, die in Publikationen und Vorträgen der Flüchtlings- und Vertriebenengemeinschaften bis in die 1980er Jahre als Sammelbegriff für alle H. der deutschen Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler galt. Dadurch erfolgte eine Generalisierung und zum Teil auch Vereinnahmung von Herkunftsgebiete, die nicht primär als „ostdeutsch“ bezeichnet werden können, wie z. B. Siebenbürgen oder Galizien. Heute ist das Begriffspaar vor allem die Selbstbezeichnung von H., die sich nicht auf ein bestimmtes Herkunftsgebiet festgelegt haben, sondern die überregional angelegt und an deren Trägerschaft zumeist mehrere Landsmannschaften beteiligt sind. Der Begriff „ostdeutsch“ bezieht sich allerdings seit den 1990er Jahren im allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr auf die ehemaligen Reichsgebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze, sondern auf die heutigen neuen Bundesländer.

Fremdsprachige Entsprechungen

pol. Regionalne izby pamięci; ungar. Magyarországi német tájházak és tájszobák (Ungarndeutsche Heimatmuseen und H.)

Definition

Die H. der deutschen Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler sind ein weit verbreitetes Phänomen in den westlichen Bundesländern. Mittlerweile sind über 500 dieser semi-musealen Einrichtungen entstanden, seit 1990 auch einige wenige davon in den östlichen Bundesländern wie Sachsen und Thüringen. Quantitativ liegen die Schwerpunkte in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, den Hauptaufnahmeländern von Flüchtlingen und Vertriebenen der westlichen Besatzungszonen nach dem zweiten Weltkrieg.

Die H. galten in den Kreisen der Flüchtlinge und Vertriebenen Westdeutschlands in den 1950er und 1960er Jahren als Symbol der Heimattreue und für das Anliegen der „gesamtdeutschen Wiedervereinigung“. Sie stellten zunächst ein Interim dar, das der Sammlung des materiellen Kulturgutes und der Förderung von landsmannschaftlicher Verbundenheit dienen sollte, u. a. mit dem Ziel, möglichst auf eine baldige Rückkehr vorbereitet zu sein. Von Seiten der westdeutschen Stadt- und Gemeindeverwaltungen, die diese Stuben unterstützten, sollten sie jedoch vielmehr der Integration und Beheimatung dienen und im Kontext der Patenschaftsinitiativen die Bereitschaft zur Aufnahme der "Neubürger" signalisieren. In diesem Zusammenhang war Ihnen die Funktion als Begegnungsstätte zwischen Einheimischen und Flüchtlingen bzw. Vertriebenen zugedacht, wobei allerdings mehrfach die fehlende Bereitschaft zur Teilnahme seitens der „Einheimischen“ beklagt wurde. In den 1970er und 1980er Jahren trat dieser integrierende Aspekt häufig in den Hintergrund, die H. entwickelten sich vielmehr zu „Rückzugsgebieten“ der Vertriebenenorganisationen, in denen weiterhin der Heimat gedacht und konträr zur allgemeinen bundespolitischen Entwicklung auf die „verlorenen Gebiete“ Anspruch erhoben wurde. Aufgrund des Rückganges der Erlebnisgeneration nahm ihre Bedeutung als Begegnungsstätte für die Betroffenen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich ab. Im Gegensatz dazu erhöhten sich jedoch die Sammlungsbestände der H. u. a. durch Nachlassauflösungen. Die H. entwickelten sich vielfach zu "Deponien der Erinnerung" (E. Fendl). Gleichzeitig befürchteten die Verantwortlichen wiederum die Auflösung der zahlreichen H. selbst und trafen zunehmend Maßnahmen zu ihrer Sicherung, indem beispielsweise Arbeitsgemeinschaften gebildet wurden, die eine Professionalisierung der ehrenamtlichen Aktivitäten in den H. sowie die gegenseitige Unterstützung der Einrichtungen förderten.

Heute sind H. oft nur bedingt zugänglich, werden zuweilen noch als Treffpunkte genutzt – mit rückläufiger Teilnehmerzahl – oder befinden sich in einer Phase der Umgestaltung von eigenständigen Einrichtungen zu Abteilungen in stadt- und regionalhistorischen Museen, die die Aufnahme und Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge vor Ort thematisieren. Dieser Wandel verläuft nicht immer reibungslos; vielfach wird von den Betroffenen die "fehlende Gemütlichkeit" und auch die Umdeutung ihres über Jahrzehnte geschaffenen "Lebens- und Sammelwerkes" beanstandet.

Kontroversen

Die H. in Westdeutschland mit Bezug zu Regionen und Orten, die mit dem Görlitzer Abkommen nach 1950 zur damaligen VR Polen oder der CSSR gehörten, galten in der DDR offiziell als Teil eines "ausgedehnten System[s] von Schulungs- und Begegnungsstätten der Revanchistenverbände". Zwar spielte die zukünftige Grenzfestlegung in einem möglichen Friedensvertrag und der gesamtdeutsche Gedanke eine wesentliche Rolle bei der staatlichen Unterstützung von Patenschaften in der damaligen Bundesrepublik, allerdings war vermutlich Revisionismus als ein Motiv für die Einrichtung von H. eher maßgebend als Revanchismus. Bezüglich ihrer gesellschaftspolitischen Wirkung ist jedoch Elisabeth Fendl zuzustimmen, die diese letztendlich als eher gering beurteilt.

Die Bewertung der Sammlungsbestände und somit auch die Perspektiven für eine zukünftige Nutzung der H. variieren. Während viele Betreuer und Betroffene von der Bedeutung ihrer H. für die Geschichtsschreibung und die Erinnerungskultur überzeugt sind, zeigen sich Museumsmitarbeiter, Archivare oder Historiker angesichts der Fülle des Marterials und der zum Teil unsystematischen Zusammenstellung eher kritisch. Die Option, die Sammlungsbestände in die Herkunftsgebiete nach Polen, Tschechien oder in andere Länder Ostmittel- und Südosteuropas zu überführen, stehen wiederum viele Betreuer äußerst ablehnend gegenüber. 

Bibliographische Hinweise

Literaturtitel

Mathias Beer: Heimatmuseum – Eine Bestandsaufnahme. In: Annemarie Röder (Hg.): Heimat – Annäherungsversuche. Stuttgart 2007, S. 54–62; Kurt Dröge: Das "ostdeutsche" Museum und Ostmitteleuropa. In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 43 (2000), S. 1–27; Walter Engel, Hans-Jürgen Schuch: Ostdeutsches Kulturerbe. Museen - Heimatstuben - Sammlungen in Nordrhein-Westfalen. Bad Münstereifel 2001; Elisabeth Fendl: Damit es auch richtig verstanden wird. Briefe als Objekt-Beigabe. In: Heinke M. Kalinke (Hg.): Brief, Erzählung, Tagebuch. Autobiographische Dokumente als Quellen zu Kultur und Geschichte der Deutschen in und aus dem östlichen Europa. Referate der Tagung des Johannes-Künzig-Instituts für ostdeutsche Volkskunde vom 8./9. September 1999. (Schriftenreihe des Johannes-Künzig-Instituts, Bd. 3). Freiburg 2000, S. 85–106; Elisabeth Fendl: Deponien der Erinnerung – Orte der Selbstbestimmung. Zur Bedeutung und Funktion der Egerländer Heimatstuben. In: Hartmut Heller (Hg.): Neue Heimat Deutschland. Aspekte der Zuwanderung, Akkulturation und emotionalen Bindung. (Erlanger Forschungen, Reihe A, Geisteswissenschaften, Bd. 95). Erlangen 2002, S. 63-78; Utz Jeggle: Kaldaunen und Elche. Kulturelle Sicherungssysteme bei Heimatvertriebenen. In: Dierk Hoffmann, Marita Krauss, Michael Schwartz (Hgg.): Vertriebene in Deutschland: interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven. (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernr.). München 2000, S. 395–407; Siegfried Lenz: Heimatmuseum. Roman. Hamburg 1998; Alfons Perlick: Die Ostdeutschen Heimatstuben und Heimatsammlungen in Nordrhein-Westfalen. Geschichte, Aufgaben, Berichte. Im Auftrage des Arbeits- und Sozialministeriums. Düsseldorf 1964; Martin Roth: Heimatmuseum: zur Geschichte einer deutschen Institution. (Berliner Schriften zur Museumskunde, Bd. 7). Berlin 1990; Manuel Schütze: "Elchkopf und Kurenwimpel". Zur musealen Aneignung verlorener Heimat in ostdeutschen Heimatstuben nach dem Zweiten Weltkrieg in Schleswig-Holstein. (Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 37). Neumünster 1998; Ulrich Tolksdorf: Heimatmuseen, Heimatstuben, Heimatecken. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 26 (1983), S. 338-342.

Weblinks

Dokumentation der Heimatsammlungen. Online in Internet: URL: http://www.bkge.de/heimatsammlungen (Stand: 05.12.2010)

Zitation

Cornelia Eisler: Heimatstuben. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa,  2011, Online in Internet: URL: http://lexikon.bkge.uni-oldenburg.de (Stand: 02.05.2011).

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